Donnerstag, 24. Juni 2021

Posting 94 - Anlagenotstand extrem

Im Zeitraum von 2014 bis zum Jahr 2020 ist die globale Schuldenlast (Staaten, Unternehmen, Private) von 199 auf 280 Billionen US$ gestiegen. Betrug die Relation zur globalen Wirtschaftsleistung in 2014 noch 286 %, so waren es in 2020 - trotz eines Konjunkturaufschwungs in den Jahren zuvor - 350 %, also das 3,5-fache der globalen Wirtschaftsleistung.

Das veranlasste einige Investoren und Ökonomen zu der Behauptung, dass Schulden keine Rolle mehr spielen. Sie tun es aber sehr wohl. Wir beobachten bereits seit einiger Zeit, dass einige der ärmsten und am höchsten verschuldeten Länder weltweit einen Schuldenerlass fordern.

Unter den wohlhabenden Volkswirtschaften, die Kredite in ihrer eigenen Währung aufnehmen, ist das Risiko eines Zahlungsausfalls trotz hoher und weiter steigender Verschuldung sehr gering. Aber: Wenn sich die Zentralbanken den Finanzierungsbedürfnissen der Politik unterordnen, könnte das schließlich zu Währungskriegen, Kapitalflucht und steigenden Inflationserwartungen führen.

Kurzfristig sind zunächst die Schwellenländer negativ betroffen, da sie Schulden zumeist in Fremdwährung, d.h. US$ aufnehmen müssen, jedoch mit eigener Schwachwährung zu begleichen haben - was kaum gelingt. Schuldenschnitte und damit Abschreibungen für Gläubiger rücken näher.

Vgl. https://www.private-banking-magazin.de/280000000000000-us-dollar-wie-gefaehrlich-ist-die-globale/

Vgl. https://www.visualcapitalist.com/all-of-the-worlds-money-and-markets-in-one-visualization-2020/

Betrachtet man die sog. Umlaufrendite, also die Rendite längerlaufender Anleihen in Deutschland, so sieht man eindrucksvoll, wie stark diese in den letzten Jahrzehnten abgeschmolzen ist auf aktuell -0,47 % im Juli 2021.

 

https://www.comdirect.de/inf/zinsen/detail/chart.html?timeSpan=6M&ID_NOTATION=10407739#timeSpan=SE&e&

Die massive Überschuldung hat klare politische Konsequenzen: Zinsen für die überbordenden Staatsschulden wären für viele Staaten kaum noch tragbar, und so tun die Notenbanken (FED, EZB etc.) alles, um den Leitzins bei Null Prozent zu halten.

Immobilienmarkt als Alternative?

Nach der Finanzkrise in 2008/2009 galten für viele Anleger Immobilien als sicherer Hafen in Krisenzeiten. Es wurden oft auch noch Bruttomietrenditen (vor Kosten/Steuern) von 4-6 % p.a. erzielt. Diese Relation ist inzwischen aufgrund erheblich gestiegener Kaufpreise in den Metropolen auf ca. 2-3 % Bruttomietrendite geschrumpft. Bei ca. 2 % lfd. Instandhaltungskosten, 10-15 % Erwerbsnebenkosten, dabei aber ohne Aussicht auf weiterhin attraktive Wertsteigerungen auf dem jetzt sehr hohen Niveau ist dies eine kaum noch rentable Anlagealternative.

Vgl. https://www.capital.de/immobilien-kompass

Globaler Aktienmarkt als Fluchtburg

Der globale Aktienmarkt hatte per Nov. 2020 ein Volumen von 95 Billionen US$ - im Verhältnis zum Anleihenvolumen von 280 Billionen US$ also nur ca. 1/3 davon. 

Vgl. https://www.marketwatch.com/story/value-of-the-world-wide-stock-market-soars-to-record-95-trillion-despite-resurgence-of-coronavirus-11605196894

Der Löwenanteil der klassischen Finanzierungs- bzw. Anlageinstrumente entfällt weiterhin auf den Anleihenmarkt. Wer aber kauft noch Anleihen zu Null- oder Negativzinsen? Seit einigen Jahren deutlich zunehmend die Notenbanken direkt, um so Geld in den Wirtschaftskreislauf zu pumpen. 

Das jährliche Volumen ablaufender "Langläufer"-Anleihen mit noch hohen Zinscoupons ist groß. Es umfasst ca. 5 % aller Anleihen, die etwa um das Jahr 2000 begeben wurden. Direkte Folge ist, dass die Anleihenportfolios von Lebensversicherern jedes Jahr schwächer rentieren. Aktuell in 2021 zwar noch mit ca. 2,3 %, da noch erhebliche Altbestände an Anleihen vorhanden sind, aber mit weiteren Rückgängen um ca. 0,3 bis 0,4 % jedes Jahr ist zu rechnen, da rentable Altanleihen fällig werden. Versicherer/Pensionskassen sind daher gezwungen, zunehmend bis hin zu 40-50 % ihrer Anlageportfolios "alternativ" zu bestücken mit Aktien, "Spezial"-Immobilien, etwa für Logistik, Infrastruktur-Investitionen, etc. - soweit dies die jeweiligen Anlagerichtlinien erlauben. Ein Anteil von zumeist ca. 50-60 % muss aber in Anleihen gehalten werden, was die künftigen Renditeerwartungen deutlich verwässert. 

Unter der Annahme, dass ca. 50 % des Anleihenbestandes "Langläufer" sind mit mindestens 20 Jahren Laufzeit - dies sind die typischen Vehikel für LVs/Pensionskassen -, würden 5 % jährliches Ablaufvolumen bedeuten, dass jährlich 7 Billionen US$ an Neuanlagen zu tätigen sind (280 Bill. x 0,5 x 5 %).

Wenn aufgrund einer inzwischen gefestigten Erwartung von bleibenden Null- oder Negativzinsen immer mehr private und institutionelle Anleger gezwungen sind auszuweichen, was bleibt?

Eindeutiger Gewinner ist der Aktienmarkt, der anschwellende Zuflüsse erzielt. Sogar die typischen Rücksetzer am Aktienmarkt scheinen eine immer kürzere Dauer zu haben, weil das Geld rasch zurück muss, bevor sich anderweitig "Strafzinsen" auftun. Hier liegt auch ein wesentlicher Unterschied zu der Zeit, als die sog. Dotcom-Blase geplatzt ist, also im März 2000. Wer damals erschüttert war von massiven Kurseinbrüchen am Aktienmarkt, konnte sich leicht umorientieren und sich "trösten" mit gut 5 % sicheren Anleihenrenditen. Und heute?

Ein Chart des Weltaktienmarktes verdeutlich, dass die Kursentwicklung genau gegensätzlich verläuft zur Entwicklung der Anleihenrenditen, was kaum überraschen kann.

Vgl. https://de.extraetf.com/etf-profile/IE00B6R52259

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